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Auf Einladung von Prof. Dr. Arnd Uhle begrüßte die Juristenfakultät der Universität Leipzig Prof. Dr. Stephan Harbarth, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, zu einem Vortrag mit dem Thema „75 Jahre Grundgesetz – Zur Anatomie einer geglückten Verfassung“. Er eröffnete damit die die Veranstaltungsreihe "75 Jahre Grundgesetz – Wegmarken und Herausforderungen der Verfassungsgeltung", die das Verfassungsjubiläum aus historischer, rechtlicher und politischer Sicht würdigen wird. Über 500 Zuhörer:innen, neben Studierenden auch zahlreiche Professor:innen der Fakultät, verfolgten den Vortrag und beteiligten sich an der anschließenden Diskussion. Der offizielle Teil der Vortragsveranstaltung wurde zunächst mit der Begrüßung durch Prof. Uhle selbst sowie mit einem Grußwort des Prodekans der Juristenfakultät Prof. Dr. Marc Desens eröffnet.

Prof. Dr. Harbarth beleuchtete in seinem Vortrag die zentrale Bedeutung des Grundgesetzes für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Das schwindende Vertrauen in die Institutionen zeige, so der Bundesverfassungsrichter, wie wenig selbstverständlich die demokratische Ordnung heute sei. „Daher ist es in solchen Zeiten besonders wichtig, unser Grundgesetz, die elementare rechtliche Basis dieser Grundordnung, zu erklären, für das Grundgesetz zu werben und für das Grundgesetz einzutreten.“

„Eine freiheitliche Demokratie benötigt einen starken Rechtsstaat, um die Durchsetzung des gleichen Rechts für alle zu gewährleisten“, so der Jurist über die Grundprinzipien des Grundgesetzes. Auch wenn den Grundrechten und damit der individuellen Freiheit in der Ordnung des Grundgesetzes eine herausragende Bedeutung zukomme, seien persönliche Freiheitsräume nur durch die Bindung an Recht und Gesetz möglich. Die Gewaltenteilung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Unabhängigkeit der Gerichte sind dabei die zentralen Pfeiler der Rechtsstaatlichkeit. In diesem Zusammenhang äußerte Harbarth seine Sorge über die Entwicklung in einzelnen Mitgliedstaaten der europäischen Rechtsgemeinschaft, in denen die Unabhängigkeit der Gerichte massiv bedroht oder gar beseitigt ist.

Die Bedeutung eines der wichtigsten Strukturprinzipien des Grundgesetzes, den Föderalismus, erklärt Harbarth wie folgt: „Wenn die Macht zwischen der Bundes- und der Landesebene verteilt wird, dann ist – so die Idee – die Gefahr der Schaffung einer Diktatur, die sich den Gesamtstaat unterwirft, deutlich reduziert“. Und weiter: „Föderale Strukturen bieten dem Bürger mehr Möglichkeiten der Beteiligung und Mitwirkung als im Einheitsstaat.“ Dennoch gäbe es nach 74 Jahren der Geltung des Grundgesetzes auch Anlass, den Zustand des Föderalismus kritisch zu beleuchten. Denn auch wenn sich die föderale Struktur im Kern bewährt habe, sei die zunehmende Verflechtung von politischer Verantwortung in der Tendenz problematisch. „Für die Akzeptanz einer parlamentarischen und weitgehend repräsentativen Demokratie ist eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten notwendig.“

„Das Grundgesetz bietet heute einen stabilen Ordnungsrahmen, der mich bei allen Schwierigkeiten grundsätzlich zuversichtlich in die Zukunft blicken lässt“, beschloss Harbarth seinen Vortrag. Es habe sich als zukunftsoffene Verfassung erwiesen und in der Vergangenheit sowohl die europäische Integration ermöglicht als auch die deutsche Einheit. „Wir wissen, welche Bedeutung eine gute Verfassung für die glückliche Entwicklung eine Staates hat. Wir wissen aber auch, dass die beste Verfassung keinen Erfolg haben kann, wenn sie keine Menschen antrifft, die sich für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit engagieren.“ Harbarth mahnte daher, mehr denn je diskursbereit zu bleiben. „Es muss uns heute mit Sorge erfüllen, dass die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Kompromiss in den drängenden Fragen unserer Zeit zu schwinden scheint. Wir sind auch heute kein gespaltenes Land, aber wir sind auseinandergerückt.“ Nur wenn wir respektvoll auch mit Andersdenkenden ins Gespräch gingen, Gemeinsinn stiften und uns für Freiheit und Rechtsstattlichkeit einsetzten, bliebe die Demokratie auf lange Sicht lebendig.

So sei das bevorstehende Verfassungsjubiläum auch ein Appell, den Fokus in den politischen Auseinandersetzungen unserer Tage nicht auf das Trennende, sondern auf das Gemeinsame zu richten – ganz im Geist der Debatten im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz am 8. Mai 1949 als „eine zu Worten geronnene Kompromissfindung“ beschloss. Dann habe auch eine erfolgreiche Verfassung wie das Grundgesetz alle Chancen auf eine gute Zukunft.