Dr. Marius Riebel, Rechtsreferendar und bis vor Kurzem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Juristenfakultät Leipzig, geht in seiner Dissertation „Verletzteninteressen im Kontext des staatlichen Umgangs mit Straftaten“ der Frage nach, wie staatliche Verfahren die Interessen von Straftatopfern besser berücksichtigen können – und welche Vorstellungen über Opferinteressen einer kritischen Prüfung bedürfen.
Neue Perspektiven auf Verletzteninteressen
Die Untersuchung stützt sich auf empirische Erkenntnisse aus der Viktimologie und fokussiert insbesondere das Strafverfahren und das neue soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV). „Verfahren sollten so opfersensibel wie möglich gestaltet werden. Es reicht nicht, nur Rechte zu gewähren – diese müssen auch tatsächlich wahrgenommen werden können“, so Riebel im Interview mit dem WEISSEN RING.
Ein zentrales Anliegen seiner Arbeit ist es, ein gängiges Missverständnis infrage zu stellen: dass Opfer primär auf Vergeltung oder maximale Strafhärte drängen. Vielmehr zeigen Riebels Analysen, dass viele Betroffene sich vor allem Anerkennung, einen schonenden Umgang, Beteiligung und eine transparente Kommunikation wünschen.
Empfehlungen für den Opferschutz
In seiner Arbeit identifiziert Riebel wenig beachtete Stellschrauben, die den Umgang mit Verletzteninteressen verbessern können. Dazu zählen gezielte Fortbildungen für Jurist:innen, eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie eine opfersensible Gestaltung der Kommunikation im Strafverfahren. Erkenntnisse aus der Kommunikationspsychologie fließen gezielt in seine Empfehlungen ein.
„Wir müssen uns ehrlich fragen, ob unsere Verfahren den Menschen, um die es geht, tatsächlich gerecht werden – oder ob wir ihnen nur symbolisch Platz einräumen“, so Riebel weiter. In diesem Zusammenhang greift er das Konzept einer „Parallel Justice“ auf: unabhängige Verfahren zur Wahrung von Opferinteressen, die den klassischen Strafprozess ergänzen könnten. Diese Überlegungen eröffnen langfristige Perspektiven für einen ganzheitlicheren Opferschutz.
Auszeichnung mit Signalwirkung
Zum zweiten Mal verliehen der WEISSER RING e.V. und das Bundeskriminalamt 2025 den Wissenschaftspreis Opferschutz, um wissenschaftliches Engagement im Opferschutz zu würdigen und die Sichtbarkeit der Anliegen von Betroffenen zu erhöhen. In der Laudatio von Dr. Christoph Gebhardt, Vorstand im Arbeitskreis der Opferhilfen in Deutschland e.V., heißt es, Riebel habe mit seiner Forschung „wichtige Impulse gesetzt für eine differenzierte und menschenzentrierte Justiz“. Seine Arbeit zeige Wege auf, wie Opferschutz und rechtsstaatliche Prinzipien im Einklang weiterentwickelt werden können.
Riebel selbst freut sich über die Auszeichnung und betont: „Der Preis bedeutet mir viel, da meiner Dissertation auf diese Weise eine größere Öffentlichkeit zuteil wird und die Ergebnisse meiner Arbeit weiter wahrgenommen und diskutiert werden.“
Die Dissertation ist im Nomos Verlag erschienen.