Pressemitteilung 2020/322 vom

Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig, hat im Auftrag des Deutschen Bundestages gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Michael Kubiciel von der Universität Augsburg die Anwendung des Anti-Doping-Gesetzes in der Praxis evaluiert. Ihr Fazit fällt gemischt aus: „Das Gesetz war ein wichtiger Schritt. Gerade Selbstdoping stellt die Integrität des Sports in Frage – und die Verbände haben nicht dieselben Ermittlungsmöglichkeiten wie staatliche Stellen. Auf der anderen Seite: Bislang gibt es nur wenige Strafverfahren.“ Am 16. Dezember wird sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestages mit der Thematik befassen.

Das Anti-Doping-Gesetz, das vor fünf Jahren in Kraft getreten ist, richtet sich nicht nur an diejenigen, die Dopingmittel erwerben, besitzen oder damit Handel treiben. Es sieht auch Strafen für Sportlerinnen und Sportler vor, die Dopingmittel einnehmen oder unter Doping an Wettkämpfen teilnehmen. Damit sollen Fairness und Chancengleichheit bei Sportwettbewerben gesichert werden. An der Kriminalisierung des Selbstdopings entzündete sich während des Gesetzgebungsverfahrens die Kritik von Sportlerinnen und Sportlern, Sportverbänden und aus Teilen der Rechtswissenschaft. Athletinnen und Athleten befürchteten, dass sie unberechtigterweise, etwa durch Manipulationen ihrer Konkurrenten, zum Gegenstand von Ermittlungen werden. Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler monierten, es sei nicht Aufgabe des Staates, die Einhaltung von Sportregeln zu sichern und die Sportlerinnen und Sportler vor selbstschädigenden Handlungen zu schützen. Daher sah sich der Gesetzgeber veranlasst, die Wirkungen des Gesetzes durch eine Evaluationsstudie zu überprüfen.  

Die Auswertung sämtlicher Akten zu Verfahren, die deutsche Staatsanwaltschaften wegen des Verdachts des Selbstdopings geführt haben, zeigt nun nach Angaben von Elisa Hoven und Michael Kubiciel, dass der Großteil der Ermittlungsverfahren eingestellt wird. „Nur drei Sportler haben in den letzten Jahren wegen Selbstdopings einen Strafbefehl erhalten, die Verurteilung des Berufsboxers Felix Sturm durch das Landgericht Köln zu Anfang des Jahres ist die bislang einzige“, berichtet Hoven. Die Leipziger Strafrechtlerin führt dafür verschiedene Gründe an. Den Sachverständigen lag kein Verfahren vor, das auf die Meldung eines Verbandes oder Sportvereins zurückging. In der Regel werden Strafverfahren nach Informationen der Nationalen Doping-Agentur (NADA) über positive Dopingproben eingeleitet. Diese betreffen naturgemäß einzelne Sportlerinnen und Sportler, nicht Strukturen und Netzwerke. „Es fehlt im Sport an Whistleblowern, also zum Beispiel betroffenen Sportlerinnen oder Sportlern, die aussagen. Es wäre daher über eine Ausweitung der Kronzeugenregelung nachzudenken, die diese Athletinnen und Athleten schützt.“ Auch die Einführung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften sei sinnvoll, da eine wirksame Verfolgung der Delikte rechtliche, medizinische und kriminalistische Spezialkenntnisse erfordere. 

Zudem seien, so die Experten, die Anforderungen an die Strafbarkeit des Selbstdopings derzeit zu hoch. „Die Strafbarkeit wird nach dem geltenden Recht auf bestimmte Athletinnen und Athleten beschränkt. Erfasst werden unter anderem Sportlerinnen und Sportler, die Einnahmen von erheblichem Umfang erzielen. Das ist für die Strafverfolgungsbehörden aufwendig zu ermitteln. Und sinnvoll ist diese Einschränkung nicht – für die Beeinträchtigung der Integrität des Sports spielt es keine Rolle, wie viel Geld ein Athlet oder eine Athletin verdienen“, sagt Elisa Hoven. Hoven und Kubiciel schlagen daher vor, den Straftatbestand zu überarbeiten, um das Gesetz stärker auf die Bekämpfung des Selbstdopings im Wettkampfsport auszurichten.

Dies sei auch aus einem anderen Grunde wichtig: „Bislang betrifft der Großteil der Ermittlungsverfahren Bodybuilder, bei denen anabole Steroide oder andere Dopingpräparate aufgefunden werden. Diese nehmen aber typischerweise nicht an Wettkämpfen teil“, führen die Experten aus. Dass das Gesetz den Besitz von Dopingmittel kriminalisiere, diene nicht der Integrität sportlicher Wettkämpfe. Vielmehr begründe der Gesetzgeber die Besitzstrafbarkeit mit der Vermutung, dass Personen, die Dopingmittel besitzen, diese auch an andere weitergeben oder damit Handel treiben. „Das mag vorkommen, jedoch haben uns viele Experten gesagt, dass die aufgefundenen Mengen oft so gering seien, dass kaum davon ausgegangenen werden könne, dass der Beschuldigte mit diesen Handel treibe oder sie weitergebe.“