Pressemitteilung 2022/111 vom

Hasskommentare im Internet – das ist eines der Forschungsfelder von Prof. Dr. Elisa Hoven, Strafrechtsprofessorin an der Universität Leipzig. Ihre Expertise brachte sie am 27. Mai 2022 in das ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann ein. Wir sprachen mit ihr über dieses Thema und ihre aktuell noch laufende Studie, bei der unter anderem Betroffene befragt werden. "Für die Behörden sollten die Ergebnisse des Experiments Anlass sein, ihre eigene Handhabung von Fällen digitalen Hasses zu überprüfen", sagt die Expertin. Statt Unterstützung hätten Betroffene bei der Anzeige die Bagatellisierung ihrer Erlebnisse "bis hin zu Schuldzuweisungen" erlebt.

Nach der Berichterstattung im ZDF Magazin Royale über Hasskriminalität im Netz sind jetzt von der Staatsanwaltschaft Stendal (Sachsen-Anhalt) die Ermittlungen in sechs von sieben Fällen wieder aufgenommen worden. In Baden-Württemberg wurde hingegen bereits ein Täter zu einer Geldstrafe verurteilt. Wie ist das unterschiedliche Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaften zu erklären?

Ein möglicher Grund ist eine Überlastung der Ermittlungsbehörden. Die Recherchen legen aber auch nahe, dass es teils bereits daran scheitert, dass Beamt:innen das Problem nicht ernst nehmen und noch der Ansicht sind, dass derartige Taten sich doch "nur" digital abspielen und nicht das reale Leben betreffen würden.

Was bedeutet es für die Behörden, dass ihr Umgang mit den Anzeigen, von Nichtbeachtung hier bis zu erfolgreicher Ermittlung dort, nun intensiv öffentlich diskutiert wird?

Für die Behörden sollten die Ergebnisse des Experiments Anlass sein, ihre eigene Handhabung von Fällen digitalen Hasses zu überprüfen. Zwar sind in vielen Bundesländern bereits spezialisierte Stellen zur Verfolgung von Hass im Internet eigerichtet worden und leisten auch gute Arbeit. Das Experiment zeigt jedoch, dass es letztlich an den Beamt:innen hängt, ob und wie engagiert Hass im Netz verfolgt wird. Behördenleitungen sollten deshalb darauf achten, dass ihre Beamt:innen weiter für das Phänomen sensibilisiert werden, etwa durch entsprechende Schulungen.

Sie forschen seit langem zu digitalem Hass. In einer Umfrage Ihres Lehrstuhls gaben 18 % der Befragten an, selbst von Hass im Netz betroffen gewesen zu sein – unter den 16-30 Jährigen waren es sogar 32 %. Im Rahmen Ihres aktuellen Projekts führen Sie zudem Interviewstudien durch, bei denen es auch um die Frage geht, warum viele Betroffene Hasskommentare nicht zur Anzeige bringen. Können Sie uns schon einen Einblick geben, welche Gründe genannt werden?

Die Betroffenen von digitalem Hass haben uns hier viele unterschiedliche Gründe genannt. Zum einen bestehen häufig Unsicherheiten sowohl hinsichtlich der Möglichkeit einer Anzeige als auch hinsichtlich der Strafbarkeit des konkreten Kommentars. Zudem wurde uns von negativen Erfahrungen mit den Behörden berichtet: Statt Unterstützung erfuhren sie bei der Anzeige die Bagatellisierung ihrer Erlebnisse bis hin zu Schuldzuschreibungen – Fälle der Täter-Opfer-Umkehr und sogenannten sekundären Viktimisierung, die von weiteren Anzeigen abhalten. Hinzu kommt mitunter auch, dass die Polizeibehörden teilweise das Vertrauen der Bevölkerung verspielt haben, insbesondere durch die wiederholte Aufdeckung rechtsextremer Strukturen innerhalb der Polizei.